Polnische Kunst in Brüssel

Vertraute Fremde

In Zeiten neu erblühter Nationalismen zeigt die Ausstellung "Familiar Strangers" im Brüsseler Bozar ein multikulturelles Osteuropa aus polnischer Sicht. Ein politisches Statement, das auch künstlerisch in einer Vielzahl von eindrucksvollen Stimmen aufgeht

Seit der groß angelegten russischen Invasion in der Ukraine hat sich die mediale Aufmerksamkeit gegenüber Osteuropa geschärft. Spekulationen darüber, welches Land dort das nächste Opfer von Putins imperialem Appetit werden könnte, reißen nicht ab. Polen gehört an vorderster Stelle dazu, weswegen die von der in Hamburg lebenden Warschauerin Joanna Warsza kuratierte Ausstellung "Familiar Strangers" in Brüssel eine besondere Relevanz bekommt. Setzt sie sich doch zum Ziel, eine polnische Perspektive auf die jüngsten Entwicklungen in einem Osteuropa zu bieten, das wie andere Länder auch von Migration und sozialen Konflikten herausgefordert wird. 

Die Ausstellung greift die vielen Krisen auf und fordert ein Europa jenseits des Westzentrismus, "in dem wir einander so sehen und hören, wie wir wirklich sind, mit und trotz unserer Unterschiede", meint Warsza. Dazu gehört für sie auch die Auseinandersetzung mit den vielen Identitäten einer Region, die lange als kulturell homogen wahrgenommen wurde, obwohl sie es nie war. 

13 zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen reflektieren jeweils in einem eigenen Raum über die Diaspora in Polen, von Roma über vietnamesische Sozialisten bis hin zu belarussischen Künstlern und der jüdischen Gemeinde. Diesen "vertrauten Fremden" wird aus Anlass der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel eine Plattform geboten, die den Blick auf Realitäten weiten soll, anstatt nationalem Wunschdenken nachzugeben. 

Zwischen Stimmen und Stoffen 

Neben Malerei dominieren Videokunst und Textilarbeiten den Parcours. Gleich am Anfang fragt Janek Simon mit einer 3D-gedruckten Skulptur aus seiner Serie "Meta Folklore", ob ein Algorithmus ein gemeinsames Wertesystem für die Menschheit erschaffen könnte. Dafür sammelte er mehr als 12.000 Bilder von Folklore-Elementen aus der ganzen Welt und ließ KI daraus die skulpturale Essenz extrahieren. Die Documenta- und Biennale-Künstlerin Malgorzata Mirga-Tas stellt in ihren erzählerischen Quilts Stereotypen infrage. Sie zeigt Roma-Frauen bei alltäglichen Aktivitäten und verwendet Fragmente ihrer Kleidung, die direkt in die "Gemälde" eingenäht sind. 

Dabei interessiert sie sich für die jahrtausendealte Geschichte der Stoffe und ihre Mythologie. Die Patchwork-Tarnkleidung der ägyptisch-polnischen Künstlerin Jasmina Metwalys spinnt das Motiv weiter. Sie ist für den Einsatz bei Protestmärschen konzipiert, wo sie es den Trägern ermöglicht, staatlicher Überwachung und Polizeigewalt zu entgehen. 

Das ukrainische Kollektiv Open Group, 2012 in Polen gegründet und seit 2015 in mehreren Ländern vertreten, ist schon einen Schritt weiter. Es gewährt in dem Video "Repeat After Me" einen ungewöhnlichen Zugang zum Kriegsgeschehen, indem es Ukrainer in einem Flüchtlingslager in Lwiw porträtiert, die die Geräusche der russischen Waffen nachahmen. Ergänzt wird das Klang-Inferno durch Mikrofone, die das Publikum einladen, als Ausdruck von Solidarität in ein makabres Karaoke aus Zischen, Summen und Pfeifen einzustimmen. 

Für eine Auflösung der Ost-West-Dichotomie 

Jana Schostaks Video "A Minute of Shouting for Belarus" richtet sich gegen das Lukaschenko-Regime und zugleich auch das Wiederaufleben globaler Faschismen. Mikołaj Sobczak lässt in seiner Malerei östliche und westliche Queer-Ikonografien aufeinanderprallen, wenn er etwa Dragqueens vor Sturmtruppen mit Gasmasken flüchten lässt, die aus einem Gemälde von Otto Dix entnommen sind. 

Zuzanna Hertzberg schließlich bezeichnet sich selbst als Artivistin. Die Polin jüdischer Herkunft fasst auf Bannern und Schautafeln die Geschichten vergessener jüdischer Frauen zusammen. Auch diese Stoffe sind voller Bedeutungen. Sie reichen von der Ähnlichkeit mit Teppichen jüdischer Gemeinden bis hin zu Motiven von Kräutern und Pflanzen, die Heilung symbolisieren. 

Die vielen transnationalen Narrative lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Geschichte nicht mehr in die Richtung homogener Gesellschaften umkehren lässt, wenn es sie denn jemals gegeben hat. Und sie ist eine Einladung dazu, die Kategorien West und Ost hinter sich zu lassen. Wenn Europa überleben will, sollte es sich, so die Botschaft, zu einem vielschichtigen Organismus zentralisieren. Dessen Identität müssen wir immer noch erst entdecken, um ihn mit Inhalt füllen zu können.

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