Medienschau

"Museen wurden zu Spielstätten der Aufmerksamkeitsökonomie"

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Die Tate Modern als Vorreiterin heutiger Museen, neue Verkaufsformate auf dem Kunstmarkt und der neue Kanzler und der "Merzbau": Das ist unsere Presseschau am Freitag

Museen

Für "New York Times"-Kritiker Jason Farago ist die Tate Modern in London das Museum, das "die Vorstellung davon, was ein Kunstmuseum im 21. Jahrhundert sein soll, neu definierte". Früh setzte sie auf thematische statt chronologische Hängung, internationale Perspektiven und spektakuläre Großinstallationen wie in der Turbinenhalle. Doch laut Farago wandelte sie sich zum Event-Ort, spätestens 2003 mit Ólafur Elíassons "Weather Project": "Es ging nicht mehr nur um Kunst, sondern um Kunsterfahrungen", schreibt der Autor zum 25-jährigen Jubiläum der Institution. Farago kritisiert, dass heute eine ideologisch aufgeladene Vermittlung dominiere: "Ausstellen ist heute gleichbedeutend mit Haltung zeigen, und größer ist besser." Statt historischer Kontextualisierung dominiere flüchtige Relevanz: "Museen wurden zu Spielstätten der Aufmerksamkeitsökonomie". Tate Modern sei Symbol dieses kulturellen Wandels – "vom Erzählen zur Selbstinszenierung."

Fotografie

In seiner "Zeit"-Kolumne kritisiert Schriftsteller Maxim Biller scharf den Modefotografen Juergen Teller, der kürzlich einen aufwendig gestalteten Bildband über das Konzentrationslager Auschwitz veröffentlicht hat. Biller, der 1989 mit Teller journalistisch in Prag unterwegs war, erinnert sich an dessen empathischen Blick von damals – und ist entsetzt über das aktuelle Projekt. Die neuen, digital geschönten Fotos seien geschmacklos, ästhetisiert und ohne echtes Mitgefühl. Besonders stößt ihm auf, dass Teller sich von einem deutschen Vertreter des Internationalen Auschwitz Komitees habe führen lassen und damit Teil einer deutschen Inszenierung geworden sei, die laut Biller eher an "Holocaust-Pornografie" als an ehrliches Gedenken erinnert, so wie vorher schon bei dem Maler Gerhard Richter, der sich "in der Nähe des Lagers mit einer von ihm selbst entworfenen Kapelle selbst ein Denkmal setzte, darin ein paar abstrakte Auschwitz-Bilder, die alles bedeuten könnten und nichts." Der jüdische Autor stellt die Frage, was solche Bilder bewirken sollen – und warum nicht jüdische Künstler wie Joel Meyerowitz, Nan Goldin oder Leon Kahane mit solchen Aufgaben betraut werden.

Kunstmarkt

Devorah Lauter schaut in "ARTnews" noch einmal auf die neue Berlin-Dependance der Pace Gallery in einer ehemaligen Tankstelle in Berlin-Schöneberg, eine Kooperation mit der Galerie Judin. Statt auf spektakuläre Architektur setze Pace bewusst auf Zurückhaltung und eine Öffnung hin zur Berliner Szene, so Galeriedirektorin Laura Attanasio. Auch Pace-CEO Marc Glimcher betont, dass das Projekt eher aus einer langjährigen Freundschaft mit Judin als aus strategischem Kalkül entstanden sei. Vor dem Hintergrund steigender Lebenshaltungskosten, Kürzungen im Kulturbereich und politischer Spannungen sei Zusammenarbeit in der Kunstszene heute wichtiger denn je, so Judin gegenüber "ARTnews". Während Olafur Eliasson, Thomas Bayrle und andere Künstler beim Gallery Weekend starke Besucherzahlen verzeichneten, warnte Sammler Filip Dames vor finanziell überdimensionierten Großprojekten. Das neue, gemeinschaftliche Format von Judin und Pace könne hier als pragmatische Alternative verstanden werden.

In einem eskalierenden Rechtsstreit um Alberto Giacomettis Skulptur "Le Nez" wirft der chinesische Krypto-Unternehmer Justin Sun dem Kunstsammler David Geffen vor, sich auf "verzweifelte und bizarre" Behauptungen zu stützen, berichtet "Artnet". Sun hatte die Skulptur 2021 bei Sotheby’s für 78,4 Millionen Dollar erworben und behauptet, seine Mitarbeiterin Xiong Zihan Sydney habe das Werk ohne sein Wissen an Geffen verkauft. Geffen kontert, Sun leide unter "Verkäuferreue" und bezeichnet die Klage als Täuschung. Sun wiederum sagt, Xiong sitze seit Februar in einem chinesischen Gefängnis – ein Beweis für Diebstahl. Geffen wirft Sun indes vor, Beweise vernichtet und sich in Widersprüche verwickelt zu haben, etwa über die Rolle seiner Plattform APENFT. Zudem soll Geffen beim Kauf über Mittelsmänner 2 Millionen Dollar unter der Hand gezahlt haben. Kann noch jemand folgen? Die Auseinandersetzung entwickelt sich zu einem hochkarätigen Rechtsdrama zwischen zwei prominenten Sammlern. Wir warten auf eine Verfilmung.

Melanie Gerlis beschreibt in der "Financial Times", wie das Überangebot den Kunstmarkt in neue Verkaufsformate zwingt. Händler Loïc Gouzer beklagt eine Inflation des Begriffs "Meisterwerk": Es gebe "zu viel Kunst", alles werde überhöht – selbst exzellente Werke wie Picassos "Tête d’homme à la pipe" drohten in der Masse unterzugehen. Sein App-Format Fair Warning solle fokussiertes Sehen ermöglichen – selbst "auf der Toilette", wo Menschen heute zur Ruhe kämen. Auch Christie's setzt auf diskrete Privatauktionen: Laut Ex-CEO Guillaume Cerutti biete das Modell "das Beste aus beiden Welten". Marc Glimcher von der Pace Gallery sieht die Branche in der Krise: Alte Modelle stünden unter Druck, Kosten stiegen, Margen schrumpften. Alternative Messen wie Esther oder Minor Attractions bieten niedrigschwellige Erlebnisse – mit Bingo, DJs und Drag-Shows. Gerlis notiert: Viele Akteure sehnten sich nach "Magie", auch wenn sie selbst die Kommerzialisierung vorangetrieben hätten.

Künstliche Intelligenz

Die Kritiker Jerry Saltz vom "New York"-Magazin und David Wallace-Wells von der "New York Times" diskutierten kürzlich in der Galerie David Zwirner in New York über KI-Kunst. "Vulture" hat nun Teile ihres Gesprächs veröffentlicht. "90 Prozent der KI-Kunst wird Schrott sein", sagt Saltz. Während KI als Werkzeug gelten kann, bleibe fraglich, ob sie selbst Ausdrucksfähigkeit besitzt. Saltz beschreibt das unheimliche Gefühl beim Betrachten von KI-Werken als die Begegnung mit einem "Geist im Algorithmus", dem er sich jedoch nicht verbunden fühlt. KI-Kunst fehle Materialität und Kontext: "Mein Bild kommt wie die Jungfrauengeburt." Obwohl sie Erlebnisse auslösen kann, bezweifelt Saltz ihre Fähigkeit zur Entwicklung über Zeit. Auch wenn sie auf dem gesamten kulturellen Korpus basiert, habe sie "keinen Anteil daran" und "erweitert ihn nicht". Dennoch erkennt Wallace-Wells in ihrer Fremdheit ein "magisches" Potenzial. Letztlich bleibt für Saltz klar: "Ein Maschinenwesen kann das nicht."

Glosse

Immer, wenn man denkt, dass eine Idee zu platt sei für einen Artikel, kommt Florian Illies und realisiert sie. In der "Zeit" zieht der Bestseller-Autor eine augenzwinkernde Verbindung zwischen dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz und dem Dada-Künstler Kurt Schwitters. Schwitters erfand die Kunstbewegung Merz, indem er das Wort aus dem Begriff "Commerzbank" herausschnitt. Ähnlich habe sich Merz symbolisch vom "Kommerz" seiner früheren Tätigkeiten bei BlackRock und Co. getrennt. Illies sieht in Schwitters' Definition von Merz – "Beziehungen zu schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt" – fast eine treffende Beschreibung der Aufgaben eines Kanzlers. Auch der Unterschied zu den radikalen Dadaisten wird betont: Schwitters sei der bürgerliche Avantgardist gewesen, stets im Anzug, verwirrend konservativ im Auftreten, aber revolutionär in der Form. Illies vergleicht den berühmten "Merzbau" mit dem komplexen Gebilde des Bundeskanzleramts – beides wuchernde Konstruktionen aus Einzelteilen. 

Ausstellung

Im Kunstmagazin "Apollo" beschreibt Catherine Bennett, wie Thomas Schütte in seiner Venedig-Ausstellung "Genealogies" in der Punta della Dogana von François Pinault mit Leichtigkeit Unbehagen erzeugt. Schon zu Beginn stehen riesige Bronze-Giganten mit kindlichen Gesichtern, die laut Bennett an Märchenfiguren erinnern. Schüttes Figuren wirken wie aus einem Guss, zugleich aber reduziert und symbolisch: "Ein Gesicht kann für ihn einfach zwei Augen, ein Mund und manchmal eine Nase sein." Die Schau wechselt zwischen Karikatur und Minimalismus, zwischen grotesk und zart. Besonders ausdrucksstark findet Bennett die Werke "Efficiency Men" (2005), die wie "metallene Krähen" wirken, sowie die geisterhaften Riesen der "Geister"-Serie. Weniger überzeugend erscheinen ihr späte Aquarelle, die "aus Langeweile" entstanden zu sein scheinen. Insgesamt zeige sich Schütte als Meister darin, menschliche Formen zu verzerren – so präzise, dass sie uns auf unheimliche Weise selbst spiegeln.

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