Kulturpolitik
Die Berufung Wolfram Weimers zum Kulturstaatsminister durch Friedrich Merz sorgt weiter für Widerstand. "Der Kanzler habe selbst sein eigenes Umfeld mit der Personalie überrascht", so der "Spiegel" in einem großen Porträt. Die Bandbreite der Aufgaben und "der möglichen Stolperstellen ist für Weimer groß", schreibt das Autorenteam. "Es geht um Filmförderung, kulturelles Raubgut, Restitution, den Verwaltungsrat der Bayreuther Festspiele, Kulturgutschutzgesetze. Vielleicht hilft ihm hier seine lange Führungserfahrung. Weimer wird aber auch für das weite Feld der Gedenkkultur zuständig sein – die heftige Debatten auslöste und wohl auch weiterhin auslösen wird." Weimer selbst beschreibt sich gegenüber dem "Spiegel" erneut als bürgerlich und betont, dass er sich "in der Tradition von Michael Naumann" sehe, dem ersten Kulturstaatsminister, und ein Kulturverständnis vertrete, das bürgerlich und weltoffen sei. Doch Dirk Knipphals analysiert in der "taz", wie Weimer problematische Aussagen relativiert oder verschleiert. Besonders brisant: In seinem "Manifest des Konservativen" beziehe sich Weimer positiv auf Begriffe wie "Blut", "Sippe" und "Nation" – und zeigt laut Knipphals Bedauern über deren Bedeutungsverlust. Obwohl Weimer sich selbst als Vertreter der "bürgerlichen Mitte" bezeichnet, erinnern seine Aussagen eher an kulturkämpferische, völkisch konnotierte Denkmuster. Knipphals kritisiert zudem Weimers verengtes Kulturverständnis, das eine vielfältige und liberale Gesellschaft ausblende – und fordert eine klare Standortbestimmung statt beschönigender Rhetorik.
Joe Chialos Rücktritt als Berliner Kultursenator ist laut "taz" "die einzig richtige Konsequenz". Der Ex-Musikmanager war mit großen Erwartungen gestartet, ließ jedoch massive Kürzungen im Kulturbereich zu – insgesamt 1,6 Milliarden Euro weniger bis 2027. Anstatt Kunst und Kultur zu fördern, rechtfertigte Chialo die Sparmaßnahmen und verpasste seine eigentliche Aufgabe. Trotz guter Startbedingungen scheiterte er an mangelnder politischer Erfahrung, Kommunikationsschwäche und Beratungsresistenz. Laut Simone Schmollack reichte seine Expertise als Quereinsteiger nicht aus, um die Kulturszene durch eine zunehmend politisierte Zeit zu führen. In einer Stadt, die kulturell glänzen könnte, hinterlässt er ein desaströses Erbe. Das sieht Boris Pofalla in der "Welt" allerdings anders: Chialos Rücktritt sei ein Verlust für die Stadt. Sein Rückzug "wird zwar von vielen im eher linken Kulturbetrieb der Hauptstadt instinktiv begrüßt, aber diese Freude wird nicht lange währen." Die Bedrohung der Berliner Kulturlandschaft sei real – "das budgetierte Geld reicht im Moment nicht einmal, um die Tariflöhne […] zu bezahlen." Am Ende bleibe der Eindruck, so Pofalla, "inzwischen wäre jeder froh, wenn Joe Chialo Kulturstaatsminister geworden wäre."
Nate Freeman beschreibt in "Vanity Fair", wie die Teilnahme der USA an der Venedig-Biennale 2026 lange ungewiss blieb. Üblicherweise startet das Bewerbungsverfahren frühzeitig, doch unter der Trump-Regierung wurde das Antragsportal erst nach einer Presseanfrage von Freeman spät geöffnet. Die neuen Vorgaben des Außenministeriums unterstreichen eine ideologische Neuausrichtung: Statt Kriterien wie "Diversität und Inklusion" wird nun verlangt, dass die Ausstellung "amerikanische Werte" vermittelt. Auch "Monitoring Site Visits" zur Kontrolle vor Ort sind neu. Bewerber müssen zudem bestätigen, keine Programme zu betreiben, die gegen Antidiskriminierungsgesetze verstoßen – was besonders Diversity-Initiativen betrifft.
Interviews & Porträts
Im "Spiegel"-Interview sprechen Ulrike Knöfel und Carola Padtberg mit dem Künstler Wolfgang Tillmans über seine Ausstellung im Remscheider Haus Cleff und seine Beziehung zu seiner Heimatstadt. Trotz seines globalen Erfolgs fühlt er sich Remscheid verbunden. Besonders faszinieren ihn die Stahlwerke seiner Heimat, die er als "Verwandlung von Metall" beschreibt. Tillmans spricht auch über die Akzeptanz der eigenen Vergänglichkeit, die er als Quelle der Hoffnung sieht: "Die Anerkennung der Endlichkeit gibt mir Hoffnung. Jeder wird sterben – das ist die Baseline, die wir alle teilen. Albert Camus fand: Wir sind in einer unendlichen Dunkelheit geboren und verloren. Und trotzdem ist die Revolte dagegen das Licht, das uns zusammenhält."
Zum Gallery Weekend eröffnete die Galerie Michael Werner in Berlin eine Ausstellung mit 25 Werken von Frank Auerbach – die erste überhaupt in seiner Geburtsstadt. Der 1931 in Berlin geborene und vergangenes Jahr in London verstorbene Maler, der als Kind jüdischer Eltern durch die Flucht nach England dem Holocaust entkam, galt als einer der bedeutendsten britischen Künstler seiner Generation. Im Gespräch mit Max Dax in der "Welt am Sonntag" berichtete Auerbachs langjährige Weggefährtin und Biografin Catherine Lampert, dass der Künstler sich bis zuletzt intensiv auf die Ausstellung vorbereitet habe: "Frank war von der Idee regelrecht begeistert, mit 93 Jahren ein erstes Mal in seiner Heimatstadt auszustellen. Da hat sicherlich sein Sohn Jake eine Rolle gespielt, der die deutsche Sprache gelernt hat, einen deutschen Pass besitzt und seit vielen Jahren regelmäßig nach Berlin gefahren ist. Jake berichtete Frank von der Stadt und hat Berlin auf eine neue Art bei ihm in Erinnerung gerufen."
In der Leipziger Baumwollspinnerei zeigen Rosa Loy und Neo Rauch neue Werke – und erklären sie vor Publikum. In der "Welt am Sonntag" beschreibt Marcus Woeller, wie Loy mit einem Augenzwinkern durch ihre farbintensiven Bilder führt, in denen weibliche Figuren zwischen Alltag und Fantasie agieren. Ihr Gemälde "Der Geborgenheit entwunden" zeigt etwa eine vermenschlichte Pastinake – Symbol für Herkunft und Transformation. Neo Rauch erläutert in der Galerie Eigen + Art seine großformatigen Leinwände: "Wie einer dasteht, ist von entscheidender Bedeutung". In seinem Bild "Stille Reserve" tauche eine Figur aus "gärender Masse" auf – ein politisch wie künstlerisch vielschichtiger Verweis. Rauch beschreibt die "stille Reserve" als ein noch ungenutztes Potenzial.
Der Berliner Theaterregisseur und Künstler Ersan Mondtag spricht im "Tagesspiegel"-Interview mit Lisa Maria Scharf über seine neue Ausstellung "Asbest" in der Galerie König, die seinem Großvater – einem verstorbenen "Gastarbeiter" – gewidmet ist. Für Mondtag ist die Gastarbeiterbewegung "einer der Grundpfeiler des Wiederaufbaus im Nachkriegsdeutschland". Ein Denkmal für diese Menschen fehle bis heute. Den Zugang zur Kunst fand Mondtag über das Theater. Später erkannte er: "Kunst ist für eine gebildete Klasse gemacht." Deshalb fordert er mehr kulturelle Bildung in Schulen: "Man kann ein Buch nur lesen, wenn man das Alphabet gelernt hat. Das ist bei Künsten nicht anders." Auf eigene Machtmissbrauchsvorwürfe reagiert er offen: "Die Vorwürfe waren berechtigt. Ich habe seither viel reflektiert und versucht, mein Verhalten zu ändern." Zur Zusammenarbeit mit der Galerie König trotz #MeToo-Vorwürfen sagt er: "Ich bin als Künstler autonom und repräsentiere nicht die Institutionen." Sein Ziel: die Kunstwelt weiter erkunden. "Ich sehe mich da als totaler Anfänger."
Performance
In Berlin wurde Yoko Onos berühmte Performance "Cut Piece" von der Musikerin Peaches neu inszeniert – ein Akt radikaler Körperkunst, der jedoch laut "SZ" in einem chaotischen Happening mündete. Im Gropius Bau saß Peaches in einem pinken Kleid auf der Bühne, bereit, sich vom Publikum Stücke ihrer Kleidung abschneiden zu lassen – ein direkter Verweis auf Onos feministisch wie spirituell interpretierbares Werk von 1964. Doch das Berliner Publikum habe aus der stillen Provokation ein schrilles Spektakel gemacht, kommentiert Johanna Adorján: Es wurde dekoriert, beklebt, bejubelt – bis der Ernst der Performance verflog. "Was da performed wird, ist weniger 'Cut Piece' als vielmehr 'Hey Leute, wir dekorieren einen Star!'", kommentiert die Autorin. Am Ende bleibt nicht nur Peaches entblößt zurück – auch das Publikum hat, so Adorján, "etwas verloren: die Würde".
Kunstmarkt
Die "Galerienstudie 2025" des Instituts für Strategieentwicklung zeigt laut "Handelsblatt", dass Berliner Galerien mit sinkenden Umsätzen und wachsender Bürokratie kämpfen. Neben Folgen der Pandemie belasten auch Kriege und Umweltkatastrophen die Kauflust. Kleine und mittlere Galerien leiden besonders unter dem Geldwäschegesetz und der Künstlersozialabgabe. Laut IFSE-Leiter Hergen Wöbken fehlen "personelle und finanzielle Ressourcen", um gesetzliche Pflichten umzusetzen. Die Branche fordert unter anderen höhere Schwellenwerte, eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Fotografie und strukturelle Förderung. Galerien seien mit fast einer Million Vernissage-Besuchern das "Ausstellungshaus" der Stadt, so BVDG-Geschäftsführerin Birgit Maria Sturm – dennoch fast ohne öffentliche Unterstützung. Wöbken kritisiert ein "Missverhältnis zwischen kulturellem Beitrag und administrativer Realität".