Der Reißverschluss ist heute so selbstverständlich, dass man dabei gerne vergisst, wie praktisch und genial er eigentlich ist. Man stelle sich heute wetterfeste Jacken, Taschen oder Campingzelte ohne vor. In den Mainstream kam der Reißverschluss nach dem Ersten Weltkrieg, dort setzte die US Navy den Zipper für Fliegeranzüge und Taschen ein. Um 1930 begann der Einzug in die Alltagskleidung. Keine 100 Jahre später steht eine Revolution an – denn der Reißverschluss wird automatisiert.
Der japanische Weltmarktführer YKK hat in Zusammenarbeit mit der Firma Taiyo Kogyo den ersten selbstangetriebenen und ferngesteuerten Reißverschluss entwickelt, der zunächst eher im professionellen Bereich Anwendung finden soll: Forschungszelte oder auch große Planen für Bierzelte könnten damit verbunden werden. Aber, sollte die Technologie sich erstmal beweisen, dürfte der automatisierte Reißverschluss auch im Alltag Einzug halten.
Immerhin gibt es heute auch schon Exoskelette für die Wanderhose. Also wieso auch nicht Winterjacken, die sich von allein schließen, ohne jedes Mal die Handschuhe abziehen zu müssen? Alpinsportler wissen, wie mühsam das sein kann. Kinder der 80er denken natürlich sofort an die Nike Power Laces (wenn auch streng genommen ohne Reißverschluss) von Marty McFly in "Zurück in die Zukunft II". Der Sneaker, der sich selbst zuschnürt. Wer will das nicht?
Wer das Aufwachsen eines Kindes miterleben darf, erkennt, wie motorisch anspruchsvoll ein Reißverschluss oder das Zubinden von Schnürsenkeln sein kann. Auch alte und beeinträchtigte Menschen tun sich mit der frickeligen Konstruktion oft schwer, für die mag ein automatischer Zipper auch sinnvoll erscheinen. Aber sollte ein Kind solche Mechaniken nicht dennoch erstmal lernen? Gerade, weil sie schwierig sind?
In der letzten Zeit musste ich wieder oft an den Pixar-Film "Wall·E" von 2008 denken, der zwar noch kaum etwas von Smartphones und KI im Alltag wissen konnte, aber ziemlich passgenau eine mögliche Zukunft imaginierte. Menschen sind hier nur mehr träge, passive Wesen, weil für alles eine Technologie da ist. Drohnen, die Getränke bringen, personalisierter Screen-Content rund um die Uhr – und bewegen muss man sich auch nicht, weil man sich ständig bewegen lassen kann.
Der Gründer und CEO der Musik-KI Suno, Mikey Shulman, erklärte Anfang des Jahres in einem Interview, weshalb er auf KI-generierte Musik setzt. Musizieren sei ein quälender Prozess. Man müsse – oh Wunder! – üben, und das sei enorm zeitintensiv. Die meisten Musikerinnen und Musiker würden den Großteil ihrer Zeit, die sie mit Musizieren verbringen, doch überhaupt nicht genießen, so Shulman. Man erkennt, wie wenig Ahnung dieser Mensch von kreativen Prozessen hat. Den gleichen Impetus finden wir bei allen anderen großen KI-Plattformen. Wofür Zeichnen und Malen lernen, wenn man in wenigen Sekunden Bilder großer Meister prompten kann?
Aber wie wollen wir unseren Kindern vermitteln, wie wichtig diese Prozesse sind, um so etwas wie Kunst oder Musik wirklich zu verstehen, ohne dabei wie kratzige Grammophone zu klingen? "Kind, wir mussten früher jeden Tag barfuß zehn Kilometer zur Schule gehen. Wenn dann im Winter die Wölfe kamen …" "Ja, ja, Opa …"
Überall werden Zeitersparnisse versprochen – aber wofür? Dafür, dass wir in der gewonnenen Zeit uns noch mehr personalisierte Werbung auf schwarzen Spiegeln reinpfeifen? Noch mehr verwertbare Daten für Machine-Learning-Prozesse produzieren? Das mag für einige dystopisch klingen, aber genau da sind wir heute bereits angelangt.